Vor 60 Jahren starb Gustaf Gründgens

von Andreas Rehnolt

Dokumentation des Dumont-Lindemann-Archivs 1979
Vor 60 Jahren starb Gustaf Gründgens
 
Der wegen seiner Nähe zu den Nationalsozialisten umstrittene Theatermann starb in der Nacht zum 7. Oktober 1963 
in einem Hotel auf den Philippinen
 
Von Andreas Rehnolt
 
Für viele ist er ein unerreichbares Genie des Theaters, doch bleibt er wegen seiner Rolle im Nazi-Deutschland auch heftig umstritten. Der Theaterstar Gustaf Gründgens starb unerwartet in der Nacht vom 6. auf den 7. Oktober 1963 - also vor jetzt 60 Jahren in der philippinischen Hauptstadt Manila. Die Umstände seines Todes sind bis heute unklar. Auch 60 Jahre nach seinem mutmaßlichen Freitod in der Nacht zum 7. Oktober 1963 gibt es keine öffentlichen Äußerungen über den Theatermacher und Vorzeigekünstler Nazi-Deutschlands. Dessen Karriere ging nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs fast nahtlos weiter. Unter anderem als Intendant an den großen Theatern in Düsseldorf, Hamburg und Berlin und zahlreichen Bühnenerfolgen als Regisseur und Schauspieler.
 
Gründgens wurde am 22. Dezember 1899 in Düsseldorf geboren, wo er auch seine Schulzeit verbrachte und eine kaufmännische Lehre absolvierte. In der NRW-Landeshauptstadt erinnert der Gustaf Gründgens Platz vor dem Schauspielhaus an seinen ersten Intendanten nach Ende des zweiten Weltkriegs. Zudem gibt es eine Gedenktafel an seinem Geburtshaus. Und hinter dem Theater steht noch ein großes Gründgens-Denkmal ganz in weiß, das zwei Theatervorhänge zeigt, zwischen denen der Kopf von Gründgens zu sehen ist. Geschaffen hat das Denkmal der Bildhauer Peter Rübsam im Jahr 1984. „Er liebte es nicht, den Vorhang zu öffnen, hinter dem er sich selbst verbarg. Wir wollen nach seinem Tod nicht zudringlicher werden, als zu seinen Lebzeiten“, heißt es auf dem Sockel.
Erste Erfahrungen mit dem Bühnenleben machte Gründgens während des ersten. Weltkriegs am Fronttheater Saarlouis. Seine schauspielerische Ausbildung bekam er 1919/1920 bei Louise Dumont und Gustav Lindemann auf der Hochschule für Bühnenkunst in Düsseldorf. Beide bescheinigten ihm „ein ungewöhnliches Talent für die sinnfällige Ausformung der seelischen Struktur problematischer Naturen“ und hielten ihn für fähig „das ganze Gebiet kompliziertester Charakterrollen in der klassischen dramatischen Literatur“ auszufüllen.
Sein Weg führte ihn unter anderem über Hamburg nach Berlin zu Max Reinhardt ans Deutsche Theater, wo er auch selbst Regie führte und in Kabarett-Revuen mitwirkte. Vor allem Schurkenrollen, arrogante Snobs oder neurotische Typen mußte er spielen. Schon bald hatte der homosexuelle Gründgens, der zwischenzeitlich mit Erika Mann, der ältesten Tochter des Schriftstellers Thomas Mann verheiratet war, von den Vorgaben anderer Regisseure genug und ging 1932 ans Preußische Staatstheater Berlin. Seine erste Rolle dort war die, für die sein Name auch 60 Jahre nach seinem Tod vor allem steht: Die des Mephistopheles in Goethes „Faust“, den er gut 600 Mal verkörperte und der die Rolle seines Lebens wurde. Unvergeßlich das weiß geschminkte Gesicht, die blutroten Lippen und die unmenschlich geraden Augenbrauen.
 
Gründgens blieb in Deutschland, auch als die Nationalsozialisten 1933 die Macht übernahmen. In Hermann Göring, dem damaligen preußischen Ministerpräsidenten fand Gründgens einen Gönner und Förderer. Der sorgte auch dafür, daß er 1934 Generalintendant des Preußischen Staatstheaters wurde. Noch im selben Jahr zog Gründgens in die Villa eines jüdischen Bankiers, der emigriert war. 1936 heiratete Gründgens die beliebte Schauspielerin Marianne Hoppe. Mit einem Jahreseinkommen von 200.000 Reichsmark war sein Aufstieg im Nazideutschland kometenhaft. Zu seinen Glanzrollen zählte auch die „Hamlet“-Inszenierung von 1936, die bei den NS-Größen für Unmut und Aufregung sorgte.
Das Drängen, an NS-Propagandafilmen wie etwa „Jud Süß“ teilzuhaben lehnte er 1940 trotz traumhafter Gagen ab. Ebenso weigerte er sich, sich am „Brevier der Treue zum Führer“ zu beteiligen. Als Hamlet schleuderte Gründgens dem Berliner Theaterpublikum unter anderem den Satz entgegen: „Ich habe keine Lust am Manne .... und am Weibe auch nicht“. Oder auch den Satz: „Die Zeit ist aus den Fugen.“ Gründgens versteckte jüdische Mitarbeiter, half anderen dabei zu emigrieren und holte wieder andere wie etwa den Schauspieler Ernst Busch aus dem Gefängnis, wo der auf sein Todesurteil wartete.
 
Als Generalintendant versuchte Gründgens aus seinem Theater eine Insel im braunen Sumpf zu machen. „Ich möchte einmal der gewesen sein, der die Flamme in einer dunklen Zeit bewahrt und gehütet hat“, sagte er damals. Die ärgsten Hetzstücke konnte er aus dem Spielplan halten, vielen bedrohten Mitarbeitern half er, indem er sie in Arbeit hielt oder vor Gefängnis und Schlimmerem bewahrte. Dafür wurde er als kultureller Repräsentant der Nationalsozialisten auf Festlichkeiten und Partys herumgereicht. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war Gründgens mehrere Monate in einem russischen Kriegsgefangenenlager inhaftiert, doch schon im Mai 1946 spielte er seine erste Rolle im Nachkriegsdeutschland, den Snob im gleichnamigen Stück von Carl Sternheim.
1947 übernahm er in seiner Heimatstadt Düsseldorf die Leitung des Schauspielhauses, das er wieder zu einer der großen Bühnen Deutschlands machte. 1955 ging er nach Hamburg, um auch dort Triumphe auf der Bühne zu feiern. Mit seiner Hamburger Faust-Inszenierung war er sogar in New York und Moskau auf den dortigen großen Theaterbühnen zu erleben. Im Sommer 1963 gab er sein Amt als Intendant auf und startete eine Weltreise, von der er nicht mehr lebend zurück kehrte. Er starb in der Nacht auf den 7. Oktober 1963 in der philippinischen Hauptstadt Manila. Begraben ist der große Bühnenmann übrigens auf dem Friedhof Ohlsdorf in Hamburg. Er selbst hatte einmal über seine Erfolgszeit im Nazi-Deutschland erklärt: „Die Unsicherheit, in der wir alle lebten, ließ uns die Bühne als den einzig sicheren Faktor erscheinen.“ 
 
ARe